Archiv der Kategorie: Reform(ation)en

Grundsätzliches und Einzelnes zum Projekt

Personaler Narzismus – Auskopplung Nr. 1

10. November 2016 – Wort zum Alltag im Braunschweiger Dom zum Geburtstag von Martin Luther (überarbeiteter Auszug aus einem Vortrag zum Reformationsjubiläum 2017)

LUTHER_CDShortsDieser Mann  ist für viele immer noch die Persönlichkeit des evangelischen Glaubens. Nicht wenige nennen das kommende Reformationsjubiläum 2017 deshalb auch – fälschlich – „Lutherjahr“. Eine kantige Persönlichkeit, ein ausdrucksstarker Prediger und kämpferischer Theologe. Ein Mann, von dem man Menschliches und viel Persönliches weiß und der unbestreitbar Großes angestoßen hat – das fasziniert. Sein aufbrausender Charakter, seine Liebe zur Musik, seine Ehe mit Katharina von Bora, seine innige Freundschaft mit Johannes Bugenhagen, dem Reformator unserer Stadt. Seine geniale Sprachkraft, der Lebensweg und das Lebenswerk dieses impulsiven Beinahe-Märtyrers – das ist einfach eine beeindruckende und für viele mitreißende Geschichte. Für die einen ist Luther wegen einiger sehr problematischer Äußerungen ein höchst umstrittener, für andere wiederum bis heute ein sehr inspirierender Geist.

„Kaum eine Religion bzw. Konfession hat einen derartigen personalen Narzissmus entwickelt, wie gerade die Lutheraner.“[1] attestiert uns der reformierte Theologe und Kulturanalytiker Andreas Mertin. Dem Wittenberger Reformator wurden Denkmäler gebaut, Kirchen und Gemeindehäuser wurden nach ihm benannt, auch in Braunschweig, und sein Konterfei ziert schon seit Jahren und besonders für nächstes Jahr zahllose Veranstaltungshinweise. Wie ein ferner Spiegel hängt das Bild dieses Menschen vor uns und wir suchen in ihm unsere eigenen Konturen. Wir suchen Ähnlichkeiten und suchen Anregung im Lebensbild dieses Mannes. Wir angepassten und in großen gesellschaftlichen Trends mitgefangenen Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts können uns einfach nicht sattsehen an diesem widerständigen und schöpferischen Typen Martin Luther.

Sind wir heute möglicherweise – wieder – in einer Zeit, in der starke eigenwillige Charaktere und Querdenker unsere Herzen leicht gewinnen können allein schon damit, dass sie anders sind als der etablierte Mainstream? Sind die Denkzettelwahlen in deutschen Bundesländern und amerikanischen Bundesstaaten vielleicht ein Indiz dafür, dass die Unangepassten und die Tabubrecher etwas in den Menschen anrühren, eine Sehnsucht bedienen, die lange unbeachtet und unkultiviert geblieben ist? Luther den ersten Wutbürger zu nennen, wie kürzlich im Spiegel-Magazin[2] – damit verkennt man wohl den komplexen Charakter dieses Mannes und die theologische Tiefe seiner Texte. Nicht Luther, aber vielleicht seine späte, heute neu aufflammende Bewunderung sagt etwas über unsere verrückte Gegenwart.

Es ist an der Zeit, den Mann selber beim Wort zu nehmen. In dem berühmten Verhör auf dem Reichstag zu Worms 1521 sagte er: „Ich bin ein Mensch und nicht Gott. … Wie viel mehr muss ich erbärmlicher Mensch, der nur irren kann, bereit sein, jedes Zeugnis wider meine Lehre, das sich vorbringen lässt, zu erbitten und zu erwarten.“ Gespielte Bescheidenheit oder echte Skrupel? Wahrscheinlich eine Mischung von beidem, immerhin ging es für ihn um Leben und Tod. Noch ehe man ihn auf Sockel gestellt und mit Baldachinen beschirmt hat, relativiert er sich selbst. Wir sollten aufhören, darin nur Koketterie zu sehen und es wörtlich nehmen.

Aber wir wollen nicht. Wir verstecken uns lieber hinter dem breiten Rücken herausragender Persönlichkeiten. Wir delegieren an die sogen. „Originale“ die Aufgabe, selber ein unverwechselbares Individuum zu sein. Wir übertragen unsere Berufung als Christen, die uns in der Taufe geschenkt wurde, gerne an die besonderen Amtsträger und vergessen, dass wir selber in eigener Verantwortung unvertretbar vor Gott und in dieser Welt stehen. Und wir sind enttäuscht, gekränkt, verärgert, wenn wir merken, dass die geschätzten Vorbilder keine Fixsterne sind, sondern wandernde Planeten auf schwankenden Laufbahnen.

Liebe Protestanten, ist es nach 500 Jahren nicht endlich Zeit, dass euer evangelischer Glaube reif wird? Reif und frei von der Anhänglichkeit an die großen Figuren? Frei von den inspirierenden Gestalten, die doch nur Menschen sind und nicht Gott.

Ein Adler schubst seine Jungen aus dem Nest, damit sie selber fliegen lernen. Gott nimmt uns unsere Heiligen und entzaubert unsere Vorbilder, damit wir selber ans glauben kommen. Religiöse Genies, volkstümliche Amtsträger und interessante Lebensgeschichten haben für unser Christsein nicht viel zu bedeuten. Ihm vertrauen, von Ihm Halt und Heil erbitten, Wegweisung und Geist von Ihm erwarten, das ist ein Wagnis, das uns niemand abnehmen kann. Es wird Zeit, dass wir uns nach 500 Jahren davon verabschieden, schon das Nacherzählen alter Geschichten und das Abdrucken längst verblichener Gesichter für Predigt und Erbauung zu halten. Das ist keines Festes wert. Lasst uns nicht die Wiederentdeckung des Evangeliums von vor 500 Jahren feiern. Lasst uns das Evangelium feiern!

Eine biblische Warnung steht im Jahr 2017 über unserem evangelischen, und vielleicht besonders über unserem lutherischen Kirchentum. Ein kritisches Gotteswort mit werbendem Unterton aus Jeremia 2. „Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich Zisternen, die doch rissig sind und das Wasser nicht halten.“ [3]

Wem es schwer fällt, Worte der Heiligen Schrift so unmittelbar auf sich wirken zu lassen, dem mag ein Zitat von Martin Luther selbst vielleicht den Weg zur Quelle zurück weisen. „Erstens bitte ich, man wolle von meinem Namen schweigen und sich nicht lutherisch, sondern einen Christen nennen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein! Ich bin auch für niemanden gekreuzigt. Wie käme denn ich armer, stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder Christi dürfe nach meinem nichtswürdigen Namen nennen? Nicht so liebe Freunde! Lasst uns tilgen die parteiischen Namen und uns Christen heißen, nach Christus, dessen Lehre wir haben. Ich bin und will keines Menschen Meister sein. Ich habe mit der Gemeinde die eine, allgemeine Lehre Christi, der allein unser Meister ist.“

Wir schließen mit einem Gebet aus Psalm 63: „Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir, mein Leib verlangt nach dir aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist. So schaue ich aus nach dir in deinem Heiligtum, wollte gerne sehen deine Macht und Herrlichkeit.“

Amen.

 

[1]  Andreas Mertin, Mann Ø Mann, in: Ta katoptrinzomena. Das Magazin für Kunst / Kultur / Theologie / Ästhetik Nr.  103, (Themenheft „Kirchenmusik“). http://www.theomag.de/103/am556.htm

[2]  http://www.pro-medienmagazin.de/journalismus/detailansicht/aktuell/spiegel-ueber-luther-der-erste-wutbuerger-98093/

[3]  Jeremia 2,13.

 

„Wie’s uns so geht“ Fünfte KMU der EKD

Zum fünften Mal hat die Evangelische Kirche in Deutschland durch ihr Sozialwissenschaftliches Institut eine Mitgliedschaftsuntersuchung durchführen lassen.

Eine erste Übersicht über die Ergebnisse und den Beginn der Debatte zeigt das Video „Synodentalk“. Die Präsidentin der EKD-Synode Dr. Irmgard Schwätzer spricht mit dem Vizepräsidenten Dr. Thies Gundlch und dem Leiter des Sozialwissenschaftlichen Institutes Professor Dr. Helmut Wegner. http://www.ekd.de/EKD-Texte/synodentalk.html

Interessant: Professor Wegner hebt die Bedeutung der Ortsgemeinde ausdrücklich hervor und will ihre Chancen stärker gewürdigt sehen. An der Erwiderung durch Dr. Gundlach wurde zweierlei deutlich. Einerseits darf nicht übersehen werden, dass neben die Parochie andere gleichwertige Gemeindeformen entstanden sind und die Parochie – wenn nauch immer noch ein Mehrheitsmodell – nicht mehr das Monopol innehat. Andererseits scheint in der kirchlichen Wahrnehmung eine subtile Vernachlässigung der parochial verfassten Ortsgemeinde eingetreten zu sein. Wegners Votum hierzu ist ein Signal, dass man in der kirchenleitenden Wahrnehmung und Einschätzung des kirchlichen Lebens „vor Ort“ eine Bewertungskorrektur vornehmen sollte.

Immer noch wird das Impulspapier „Kirche der Freiheit“ zitiert, das den Reformprozess in der EKD angestoßen hat. Inzwischen ist dieser Prozess bei den Mühen der Ebene angekommen und zieht sich. Maßnahmen sind getroffen worden und man wird über die Jahre erst sehen, welche Wirkung sie haben werden.

Es ist auch bemerkenswert, dass beim Gespräch über die offenbar schwächer werdende Bereitschaft zur Weitergabe des Glaubens in den Familien und angesichts des allmählichen Anwachsens der Zahl von Konfessions- und sogar Religionslosen die Glaubenskurse mit keinem Wort Erwähnung gefunden haben. Eine unbeabsichtigte (freudsche?) Leerstelle in der Diskussion? Obschon der Begriff der Mission nicht gefallen ist, war er sachlich in den gegenseitigen Ausführungen doch sehr präsent. Nur wie?

Eine zeitgemäße (postmoderne?) Apologetik, also der Dialog und Diskurs mit kirchlich völlig unverbundenen und nicht vorgeprägten Menschen, wird in der kirchlichen Arbeit wieder mehr an Bedeutung gewinnen.

Quo vadis, ecclesia?

Braunschweiger Refomationsjubiläum in der Diskussion
Braunschweiger Refomationsjubiläum in der Diskussion

 

Zweiter Teil der Thesenreihe vom 24.10.:

  1. Kirche ist Teil der Stadt. Ist sie auch städtisch?
  2. Zur Kirchlichkeit dieser Stadt gehört historisch der gesellschaftliche Streit.
  3. Braunschweig ist nicht durch einen Fürsten oder Herzog „von oben herab“, sondern durch seine Bürger „von unten“ evangelisch geworden.
  4. Das Reformationsjubiläum 2017 hat auf diesem Hintergrund nur indirekt mit der Stadt Braunschweig zu tun. 2028 haben wir mehr zu feiern.
  5. Die Kirche in ihrer gegenwärtigen Verfassung dämpft das urbane Potential des Evangeliums.
  6. Die Christusbotschatf ist trotzdem unerhört städtisch.
  7. Zur DNA des (Ur-)Christentums gehört(e) es, große kulturelle und soziale Kontroversen in sich zu beherbergen und auszutragen. Daraus ist für die Gegenwart zu schlussfolgern: politische oder multikulturelle „Correctness“ sind nicht produktiv, sondern blockieren. Ebenso Ignoranz und Gewalt.
  8. Die gute Nachricht von Vergebung und geschenkter Rechtfertigung muss notwendig Streit und Kontroversen provozieren, oder sie ist nicht verstanden worden.
  9. Das Evangelium bewirkt im Zwischenmenschlichen eine geradezu gotische Geräumigkeit und Beweglichkeit, die einfach nicht konfliktfrei bleiben kann.
  10. In einem Einwanderungsland muss Kirche sich auch zur „Einwanderungskirche“ transformieren oder sie rutscht langfristig ins religiöse Ghetto und bleibt auf eine Ethnie begrenzt.
  11. Es hat derzeit den irreführenden Anschein, dass der Christus-Glaube für bestimmte Lebensstile oder gesellschaftliche Segmente „reserviert“ ist.
  12. Die kulturelle Öffnung der Kirche muss sich auf allen Ebenen vollziehen, zuerst und zuletzt aber in persönlichen Begegnungen.
  13. Der Impuls und die Befähigung dazu gehen von Gott aus, der unaufhörlich damit beginnt, den ihm Fremden („Gottlosen“) zu suchen und durch Versöhnung zu rechtigertigen.

Popularisierung der Reformation

Nach einer Sitzung des Kuratoriums Luther 2017, die in Halle stattgefunden hat, fasst der Ratsvorsitzende der EKD Nikolaus Schneider, der zugleich den Vorsitz des Kuratoriums innehat, ein Anliegen des Gremiums folgendermaßen zusammen:

Wir wünschen uns eine Popularisierung des Themas Reformation.

Die Knappheit der epd-Pressemitteilung lässt Raum für Interpretation und (An-)Fragen. Die Menschen sollten stärker beteiligt werden, heißt es. Damit, meine ich, könnte jeder Protestant einverstanden sein. Dass die Themen und Impulse, die mit dem Stichwort „Reformation“ verbunden sind, zu den Menschen kommen und von ihnen dialogisch und kreativ aufgegriffen werden, entspricht der Sache selbst, keine Frage. Die Zielrichtung ist begrüßenswert.

Trotzdem bleibt das Anliegen unkklar, wenig konkret. Es soll Gelegenheit für „eigene Ideen“ luther_2017_rgbgegeben werden, „eine Art moderne Thesen“, so der Ratsvorsitzende. Eine erkennbare Adressierug und Beschreibung, welche Bevölkerungs- oder Berufs- oder Altersgruppen mit „die Menschen“ gemeint sind, denen dies angeboten werden soll, bleibt aus. Ich äußere einen Verdacht und hoffe auf seine Widerlegung: Geht es am Ende nur darum, mit einer wirksamen Werbeoffensive in einer anonymen, unförmigen Öffentlichkeit als wiederkehrende Meldung unter den wichtigen Tagesereignissen vorzukommen? Ist die Titelseite das Ziel? Das wäre „much ado about (almost) nothing“.

Die Abgrenzung – „Wir wollen keine Museumsveranstaltung“ – hilft zum besseren Verständnis des Vorhabens leider auch nicht viel weiter. Historische Aufarbeitung soll ja sicherlich nicht zu den Akten gelegt werden, wogegen also richtet sich diese Formulierung?

Trotz der Unklarheiten hier ein – kritischer – Versuch zu verstehen.

Der Begriff der angestrebten „Beteiligung“ der Menschen scheint zentral zu sein. Ist damit echte Beteiligung gemeint, mit all den Risiken und Ambivalenzen, die dazu gehören? Das Kuratorium mag das als unterhaltsame und zündende Idee befürworten; sollte die EKD dieses Anliegen einfach so übernehmen? Reformation bzw. Reformationsjubiläum als speakers‘ corner? Die angedeutete Richtung sieht mir ehrlich gesagt noch zu sehr nach einem unausgereiften religionspädagogischen Einfall für den Konfirmandenunterricht oder den Gemeindegsprächskreis aus. Eine romantische Idee, aus dem Mythos des Thesenanschlags geboren. Für gesellschaftliche Wirkkraft reicht das nicht.

Popularisierung könnte auch in einer anderen Richtung gedacht werden: nicht als Spielwiese für jedermann; sondern als eine  neu gewagte, substantielle öffentliche Elementarisierung der reformatorischen Inhalte und der gesellschaftlichen Impulse, die davon ausgehen (können). Die Dialog-Plattform TED könnte eine inspirierende Anregung sein.

Das Ziel ist jedenfalls hoch bzw. weit gesteckt: es geht um „breite Verankerung“ der Initiative Reformationsjubiläum in der Gesellschaft. Auf welche Personen- und Interessengruppen, „Milieus“ können und wollen wir dabei zählen? Die Allgemeinheit ist unförmig und für diese Zielsetzung unerreichbar. Verankerung setzt konkreter an.

Die Rolle der EKD in diesem gesamten Prozess der Lutherdekade erscheint mir momentan etwas verschwommen und diffus zu werden. Eine offenbar völlig schmerzfreie und distanzlose Identifizierung mit dem Kuratorium („Wir“) sollte noch einmal überdacht werden. In dieses gesellschaftliche Gesamtkonzert „Reformationsjubiläum“ sollte die EKD stärker eine eigene, profiliertere Stimme und Position einbringen und sich weniger als Moderatorin verstehen.

Ziemlich große Koalition für’s Jubiläum

LUTHER_CDShortsFür eine bisher einmalige „gremiale Zusammenarbeit“ ist im protestantischen Raum ein gemeinsamer Leitungskreis für das Reformationsjubiläum 2017 gegründet wurden. Schon auf dem Kirchentag im Mai dieses Jahres wurde angekündigt,dass EKD und DEKT für 2017 und darüber hinaus zusammenarbeit wollen.

Diese große Koalition ist wirklich beeindruckend:  EKD, einige Landeskirchen (nicht alle) , Deutscher Evangelischer Kirchentag, Lutherstadt Wittenberg, Wittenbergstiftung, Gemeinschaft Europäischer Kirchen (GEK), Lutherischer Weltbund, ACK und weitere Vertreter von Freikirchen. Eine solche breit angelegte Koordinationsstruktur für die verschiedenen Akteure ist sehr begrüßenswert und erfreulich. Dass auch die europäische Perspektive einbezogen wird, ebenfalls. Immerhin: die Gruppe in ihrer verhältnismäßig bunten Zusammensetzung heißt „Leitungskreis der EKD und des Kirchentages“ und ist mit dieser Anbindung angetreten.

Es gibt allerdings etwas Grund zum Stirnrunzeln: Einige Mitglieder der Runde sind höchste Amtsträger in evangelischen Landeskirchen und tauchen hier mit einem ihrer Neben- bzw. Ehrenämter auf. Vertreten sie auch primär die damit benannte Perspektive oder letztlich doch nur die Sichtweise ihres bischöflichen oder präsidialen Hauptamtes? Man hat sich hoffentlich nicht einfach nur die Ämterkumulation zunutze macht, um möglichst viele Institutionen als beteiligt bezeichnen zu dürfen; gewiss hat es über die Einbeziehung dieser Einrichtungen entsprechende vorbereitende Diskussionen, Kriterien und Beschlüsse in den zuständigen Gremien gegeben …

Man kann nur wünschen, dass dieser breite kooperative Ansatz auch als Chance für die theologische Arbeit in Sachen Reformationsjubiäum und ihrer Vermittlung genutzt wird. Es wäre toll, wenn dadurch auch die inhaltlichen Aspekte eine starke und mehrstimmige Repräsentanz erhielten, und wenn durch den innerprotestantischen Pluralismus auch ein gewisses Korrekturpotential wirksam wird, aber mehr noch: dass dadurch die ganze Sache Aufwind bekommt und eben nicht auf die wenigen bisher öffentlich wahrnehmbaren Akteure begrenzt bleibt.

P.S.: Dass ausgerechnet die VELKD nicht ausdrücklich vertreten ist, muss man mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen. Ebenso fehlt eine eindeutige Reformierte Institution. Kommt vielleicht noch …

Spiritueller Tourismus und Lutherdekade

LutherDie Reformationsdekade und das große Jubiläum sind schon längst nicht mehr nur „unser“ Ereignis. Das wurde in einer öffentlichen Anhörung am 15. Mai 2013 im Ausschuss für Tourismus des Deutschen Bundestages deutlich, bei der die tourismuspolitische Relevanz der Reformationsdekade diskutiert wurde. Die großmütige und stolze Aussage der EKD-Synode 2012 „Die Reformation gehört allen“ bekommt auf diesem Hintergrund eine Bedeutung, mit der nicht jeder gerechnet haben wird. Politik und Tourismusverbände entwickeln eine eigene Perspektive auf das Ereignis und bringen eine neue Dynamik in die Sache. Das ist eine anspruchsvolle theologische Herausforderung für Kirche und Theologie.

In den Stellungnahmen der geladenen Gäste dieser Anhörung sind ein paar interessante Details versteckt, auf die hier mit knappen Strichen hingewiesen werden soll. Weiter unten folgen einige kritische Reflexionen.

Prof. Dr. Christian Antz stellt heraus, dass spiritueller Tourismus in nahezu allen Lebensphasen boomt. Der großen Nachfrage stehen aber noch keine ausreichenden (kirchlichen) Organisationsformen für dieses wachsende Segment gegenüber. Zudem mahnt Antz schon jetzt an, dass gerade im Blick auf die Reformationsdekade die Angebote keine „Eintagsfliegen“ sein dürfen, sondern im Interesse der Kunden auf Dauer angelegt werden sollten.

Bei Kirchenrat Jürgen Dittrich erfährt man ein paar interessante Einzelheiten zu den vorhandenen Lutherwegen als eigenem und offenbar verhältnismäßig gut organisiertem Tourismusangebot. Der konzeptionelle Anspruch ist hoch und inhaltlich relativ eng gefasst: „Die Hauptzielrichtung besteht vielmehr darin, Besucher zur Auseinandersetzung mit den Anliegen der Reformation durch die Jahrhunderte anzuregen und in der persönlichen Aneignung fruchtbar werden zu lassen.“ Im Schlussteil macht er deutlich, dass eine erfolgreiche Etablierung der Lutherwege nur durch die Zusammenarbeit von Kirche, Tourismusverbänden und Kommunen gelingen kann. Teilen die Kooperationspartner den konzeptionellen Ansatz? Man würde an dieser Stelle von Kirchenrat Dittrich eigentlich eine differenziertere Wahrnehmung der Interessenlage erwarten. Zu sagen, dass eine Verbindung von weltlichen und geistlichen Zugängen vorliegt, ist sicher richtig, aber noch zu undeutlich gedacht. Kontinuität über 2017 hinaus bieten gerade die Lutherwege.

Der Vizepräsident des Kirchenamtes der Thies Gundlach: „Die ausländischen Gäste und die innerdeutschen Touristen sind zunehmend auf der Suche nach zeitgenössischen geistlichen Zentralorten, die in ihrer künstlerischen Sprache und architektonischen Ausdruckskraft das 21. Jahrhundert mit den historisch geprägten Orten und ihrer Geschichte ins Gespräch bringen. […] Nur noch eine spitze Zielgruppe findet über Literatur, Ausstellungen und Diskurse einen Zugang zu historischen Ereignissen.“ Das heißt auf der anderen Seite, dass an die Orte für spirituellen Tourismus klare (geistliche und pädagogische) Qualitätsforderungen zu stellen sind. Er gibt zu bedenken, dass auch „temporäre geistliche Orte und Räume“ wie z.B. der Expowal ebenfalls Potential für spirituellen Tourismus haben. Eine Ergänzung der historischen Städten erscheint ihm (auch in Wittenberg selbst) durchaus wünschenswert. Auf die Idee der EKD einer „provisorischen Kathedrale“ kann man von daher gespannt sein.

Bei Frau Antje Rennack bekommt man näheren Einblick in die Vermarktungsstrategien für das Jubiläumsjahr. Ein ganz anderer Blickwinkel auf die Reformationsdekade. Erfordernisse an die Infrastruktur (z.B. Fertigstellung der S-Bahn-Linie von Leipzig – Torgau – Hoyerswerda) und bezüglich Barrierefreiheit rücken in den Blick. Frau Rennack relativiert die (kirchliche/theologische oder wie Gundlach es nannte: „missionarische“) Fokussierung auf Luther und vermutet, die Lutherdekade gebe vor allem ausländischen Gästen einen willkommene Gelegenheit, Deutschland überhaupt zu bereisen. In der Vielzahl der in der Reformationsdekade agierenden Partner sieht sie Gründe für Unübersichtlichkeit und Abstimmungsschwierigkeiten. Die Auflistung der Kooperationspartner im Beitrag vom Beauftragten der Kirchen Oberkirchenrat Christoph Seele scheint das (ungewollt?) zu bestätigen. Bei Frau Birgit Dittmar als Vertreterin der Deutschen Zentrale für Tourismus wird noch einmal die besondere touristische Perspektive auf die Reformationsdekade deutlich.

Der Geschäftsführer der Staatlichen Geschäftsstelle „Luther 2017“ Herr Stefan Zowislo beschreibt eingehend die Rolle und Aufgabenstellung derselben. Eine umfassende Darstellung Deutschlands und anderer Länder in ihrer herausragenden Rolle als Länder der Reformation soll erreicht werden. Weitere Akteure der Zivilgesellschaft sollten noch beteiligt werden. Er wünscht sich also eine Verbreiterung des Aktionsspektrums. Im Rahmen der Vermarktung werden erstmals die Themenjahre als positive Chance erwähnt.

Kritische Reflexion

Dieser letzte Beitrag macht es vielleicht am deutlichsten: es gibt im Rahmen des Gesamtprozesses der Lutherdekade keine theologische Deutungshoheit der Kirchen. Es ist ein staatliches und gesellschaftliches Projekt. Die theologische / spirituelle Arbeit der Kirchen findet hier in einem sich sehr breit und noch weiter ausdifferenzierenden Kontext statt. Was bedeutet das für unsere inhaltlichen Angebote? Was predigt alles mit, wenn wir in den nächsten 5 Jahren und danach „Reformation“ sagen? Wir stehen vor der Aufgabe, das zu reflektieren und in diesem Konzert unserenTon zu finden. Und zu halten.

Weiter muss man fragen: Wenn das Reformationsjubiläum ein „Ereignis von Weltrang“ ist und nun von unterschiedlichsten Partnern aus Politik, Kirche, Tourismus und anderen Gesellschaftsbereichen langfristig und umfassend vorbereitet wird: Welche Chancen und Hindernisse erzeugt das in der weltweiten Wahrnehmung Europas und insbesondere Deutschlands? Wird das globale Bild des Protestantismus wieder eine stärkere kulturelle und nationalstaatliche Tönung erfahren (zugespitzt: deutsch = evangelisch)? Was jetzt in der Kooperation entwickelt wird, prägt in wenigen Jahren die Darstellung von Kirche und Reformation in den Reiseprospekten, die in Amerika oder Asien fund anderswo ür das Reiseziel „Mutterland der Reformation“ werben werden.

Findet hier ein Updade des „christlichen Abendlandes“ unter den Bedingungen von Markt und Marketing statt? Kann die Darstellung und Vermarktung der Reformation unsere Gesellschaft vor einem internationalen Forum epräsentieren? Theologisch ist der Protestantismus eigentlich über ein sich darin andeutendes Verständnis von Kirche und Gesellschaft hinaus. Ist er es auch praktisch?

Die Vereinnahmung und Funktionalisierung des Reformationsjubiläums ist schon jetzt unvermeidlich und wird allmählich zum Selbstläufer, der keinen besonderen kirchlichen Anschub mehr braucht. Die kirchlichen Akteure der Dekade sollten jetzt die historischen Analysen vergangener Reformationsjubiläen unbedingt nutzen und differenzierte Schlüsse daraus ziehen. Das Schiff will klug durch diese wechselnde und schwer berechenbare Wetterlage gesteuert sein, von der man noch nicht sagen kann, ob es ein Hoch oder ein Tief ist. Die Diskussion darüber hat immerhin schon begonnen, sie wurde auch im Bundestag schon ansatzweise begonnen.

Die thematische Platzierung der Reformationsdekade im Ausschuss für Tourismus ist zwar aus politischer Sicht verständlich und sinnvoll. Es ist immerhin ein vielversprechender Zugang zum Ereignis des Reformationsjubiläums (noch einmal: „Weltrang“), bei dem auch nichtpolitische und nichtkirchliche Akteure mitwirken köpnnen. Natürlich birgt das Chancen für die Kirchen. Aber für evangelisches Selbstverständnis ist diese gesellschaftliche Platzanweisung im Tourismus-Marketing dennoch zwiespältig und bedarf ebenfalls einer kritischen Reflexion.

Rheinland-Pfalz 2017

Schon bald nach Einführung der Reformationsdekade im Jahr 2008 hat es in Rheinland-Pfalz auf politischer Ebene Initiativen gegeben hat, um die tourismuspolitische Bedeutung des großen Jubiläumsjahres rechtzeitig in den Blick zu nehmen. Der Landetagsabgeordnete Thomas Günther hatte sich hierzu mehrfach zu Wort gemeldet. Immerhin ist mit der Stadt Worms eine geradezu archetypische Szene lutherischen Selbstverständnisses verbunden, sodass für ein solches Ansinnen auch ein sehr prominenter Anknüpfungspunkt gegeben ist: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ (Luthers Weigerung zu widerrufen auf dem Reichstag zu Worms 1521)

Auf ihrem jüngsten Treffen mit Vertretern evangelischer Kirchen hat die Landesregierung jetzt angekündigt, eine Anregung umzusetzen und den 31. Oktober 2017 zu einem einmaligen Feiertag zu erklären.

Wie eng Politik und Kirche hier beieinander sind und mit welcher schon ins Feierlich-Grundsätzliche gehenden Wortwahl diese Nähe dokumentiert wird, ist durchaus bemerkenswert: „Die Reformationsdekade werde […] als ein gemeinsames Projekt von Staat und Kirche, von Bund, Ländern und Kommunen verstanden, in ökumenischer und internationaler Offenheit“, heißt es auf der Homepage von Rheinland Pfalz.

Gesetzlicher Feiertag zum Reformationsjubiläum?

„In Norddeutschland mehren sich die Stimmen der Regierungschefs für einen gesetzlichen Feiertag zum 500. Reformationsjubiläum am 31. Oktober 2017. Nach Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) stellte sich auch Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) hinter diesen Vorschlag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).“ (epd vom 6.12.2012)

Hoffentlich bleiben die niedersächsischen Landeskirchen nicht wort- und tatenlos daneben stehen. Sollte der Reformationstag über den besonderen einmaligen Anlass im Jahr 2017 hinaus wieder zum regelmäßigen Feiertag werden, ist ein kluger und konstruktiver Umgang vonseiten der Kirchen damit nur wünschenswert. Wir sollten nicht allzu selbstverständlich wieder zur normalen Gottesdiensttradition zurückkehren. Zweifellos gehört das Element der Verkündigung zum Kernbestand protestantischer Identität und sollte von einem solchen Tag selbstverständlich nicht verbannt werden. Der z.T. engagierte und kreative Umgang mit dem besonderen Werktag in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten hat aber auch andere, interessante Formate hervorgebracht und schon kleine Traditionen begründet, die durchaus weiterentwickelt werden sollten.

Ein regelmäßiger Gedenktag zur Reformation dürfte gern dialogischer, informativer und vielfältiger sein, als die klassische Gottesdienstliturgie es zunächst nahelegt. Immerhin gäbe ein solcher Feiertag doch die Chance, ein zentrales Thema evangelischen Kirche- und Christseins wieder stärker in den gesellschaftlichen Diskurs einzuspielen. Der theologische Kern und die historisch damit auch verbundenen Ambivalenzen sollten dabei differenziert und pointiert in den Blick genommen werden. Das Anliegen der Reformation sollte auch nicht auf allgemeine ethische Prinzipien verkürzt werden (einen Tag der Menschenrechte gibt es ja schon: jährlich am 10. Dezember). Mut zur Theologie, Mut  zur öffentlichen (und für Dialogpartner offenen) selbstkritischen Überprüfung der Grundlagen und Konsequenzen dessen, was wir als Kirche in unserer Zeit sind und sein wollen.

Kirche muss sich in die Karten sehen lassen und ihre noch im Gang befindlichen internen Debatten in den öffentlichen Raum stellen. Sie kämpft ja nur mit einer Spielart derselben Probleme wie die anderen gesellschaftlichen Kräfte auch. Ihr Proprium ist dabei nicht eine fertige Botschaft, die sie nur wieder neu verpackt zu präsentieren hätte. Unser Proprium ist eine besondere Art und Richtung, nach Wegen und Antworten zu suchen. Dass wir öffentlich dazu einladen, diese besondere Suchbewegung zu beobachten oder an ihr mitzuwirken, darin liegt eine Chance gerade des Reformationstages.

 

Pressmitteilung der EKD: http://www.ekd.de/aktuell_presse/85654.html