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LutherFasten 2017

Weitere Termine und Themen aus dem Gemeindeleben in St. Katharinen finden Sie unter: www.katharinenbraunschweig.de

 

Meine Damen unReformations_Logo 1d Herren, ich begrüße Sie zum Eröffnungsabend des Reformationsjubiläums, das auch wir in St. Katharinen nun festlich zu feiern beginnen. „Nun danket alle Gott …“ Wir lehnen uns heute an eine Gewohnheit der EKD an und machen den 31. Oktober zum vorgezogenen Auftaktdatum für das nächste Jahr. „Wort und Musik zum Reformationstag“ ist bei uns schon eine etwas längere Gewohnheit. Dieses Mal ist unser festliches Format nun also auf den besonderen Anlass ausgerichtet, der im Kalender vor der Tür steht: 2017.

In diesem ersten Teil meiner Eröffnungsrede werden wir etwas von dem Vorgeschmack des kommenden Jahres kosten und uns langsam auf der Zunge zergehen lassen. Wir machen heute eine Verkostung, die die Geschmacksnerven sensibilisieren soll für den eigentümlichen Geschmack des kommenden großen Jubiläums. Es geht um Bewusstwerdung.

Bereits jetzt ist sicher, dass das nächste Jahr prominent in die Geschichtsbücher eingehen wird. Von welchen anderen Jahren kann man das im Voraus so klar wissen? Denken wir nur daran, wie man in den zurückliegenden Jahrhunderten die großen Reformationsjubiläen, die runden Lutherjahre und -Gedenkfeiern begangen hatte! Und haben wir dabei im Sinn, dass es über diese eine bis heute anhaltende wissenschaftliche Forschung und Diskussion gibt. Dann ahnen wir, was nun uns bevorsteht, wessen Zeitzeugen und Mitverantwortliche wir werden. Vor 2 Tagen haben wir hier ein Symposium über historische Reformationsjubiläen veranstaltet, Sie finden die Vorträge in Kürze auf unserer Homepage. Solche Rückblenden auf vorausgehende Jahrhundertfeiern sensibilisieren für 2017. Sie erheben uns in die Vogelperspektive, von der aus die Reichweite und die Bedeutung solcher Ereignisse klarer werden. Dem normalen Christenmenschen sowie den Amts- und Funktionsträgern in der Kirche wird bewusst, dass die großen Jubiläen den Protestantismus nicht nur repräsentieren. Natürlich ist ein 500. Gedenkjahr Anlass für eine Zwischenbilanz. Viele werden versuchen, das Charakteristische und das Zukunftsweisende unserer evangelischen Tradition neu zu beschreiben. Solche Versuche verändern aber auch die eigene Identität und entwickeln sie weiter. Es geht um mehr als nur darum, dass wir zu diesem festlichen Anlass einmal alles, was z.Zt. typisch evangelisch heißt, ansehnlich ins Schaufenster legen. Es geht auch um Orientierung. Es geht auch um die Frage, ob wir unseren gegenwärtigen Glaubens- und Kirchenkurs überprüfen (lassen) wollen. Die früheren Jubiläen wurden schon geprüft und für viel zu schwer und erschreckend dunkel befunden. Sicher ist deshalb: „2017 wird anders.“[1] Wird leichter. Freundlicher. Das ist jedenfalls der unüberhörbare Subtext von vielem, was in den letzten Jahren und noch jetzt für 2017 diskutiert und geplant wurde und wird. Nur keine gehässigen konfessionellen Grabenkriege mehr, es soll betont ökumenisch und versöhnlich zugehen. Keine deutschtümelnde nationale oder gar nationalistische Instrumentalisierung des Glaubens mehr, wie man sie gelegentlich bei PEGIDA und ihren Ablegern aufleuchten sieht. Nein, auch in 2017 wird die Welt hoffentlich „zu Gast bei Freunden“ sein. Allumfassender Protestantismus. Wir – die religiöse Weltfriedenskraft. Mindestens die Monate Mai bis September 2017 sollen mit Ausstellungen, Kirchentagen und diversen Events ein ReformationsSommerMärchen[2] werden, wenn es nach Ulrich Schneider geht, einem der Geschäftsführer des Vereins „Reformationsjubiläum 2017 e.V.“. Natürlich wieder in Deutschland.[3] „Nun danket alle Gott.“

2017 wird anders. Das ist so gewollt. Ist es zu sehr gewollt? So wie Jugendliche natürlich alles anders machen wollen, als ihre Eltern es taten, und dann in reiferen Jahren später zugeben müssen, wie ähnlich sie in manchem ihrem Vater, ihrer Mutter doch geworden sind. „Protestantische Euphorien“[4] – zu denen einige der großen Jubiläen zweifellos gezählt werden können und wohl auch das kommende – protestantische Euphorien wären meistens mit Vorsicht zu genießen gewesen und sind rückblickend kaum als Ausdruck einer reif und frei gewordenen Religiosität zu bewerten.

Wie das Jubiläumsjahr wird und wie und was es wirken wird, ist trotz aller Vorbereitungen und bei aller Nachdenklichkeit nicht programmierbar. Kein noch so begeisterter Schwung, keine noch so nachdrücklich nörgelnde Skepsis kann das bändigen. Nicht zuletzt hängt es doch – auch – von den welt- und tagespolitischen Ereignissen ab, die uns von fremden Händen ungebeten auf die Agenda geschrieben werden. Wer weiß, was 2017 bringen wird? Alle Beteiligten dürfen also gespannt sein. Die Welt ist kein Festzelt, das steht fest. Wie wir mit unserem Jubiläum am Ende dastehen werden, weiß noch keiner. Schon nach der ersten Jahrhundertfeier 1617 folgte das Schicksalsjahr 1618 mit dem Beginn eines Krieges, der unermessliche Verwüstungen hinterließ. Die Welt eignet sich in der Tat schlecht als Festzelt für religiöse Großfeiern. Sie hat andere Themen und ist viel unberechenbarer als unsere Festkalender. Und jedes Jubiläum hatte seine besondere Brisanz und Problemsatik. Es wäre naiv zu meinen, wir hätten 2017 schon entschärft und im Griff.

2017 hat thematisch und atmosphärisch bereits begonnen. Die Frage drängt sich auf: Wie werden Buschwir, wie werden nachfolgende Generationen und Historiker einmal auf das in Deutschland gefeierte Großjubiläum zurückschauen? Fünf Jahrhunderte Reformatorische Theologie und Kirche, ein halbes Jahrtausend evangelischer Glaube und protestantisches Leben. Wohin sind wir damit gekommen? Wer die Anfänge bedenkt, lotet auch die Ähnlichkeit und den Abstand zur Gegenwart aus. Aber wo setzen wir den Messpunkt? Liegen unsere Anfänge, liegen unsere geistlichen Wurzeln tatsächlich im 16. Jahrhundert? Allein das ist schon eine Frage und mehr noch eine gründlich bedachte Antwort wert. Ich werde im zweiten Teil näher darauf eingehen. Haben wir die Zeit, das zu reflektieren? Bücher, Magazine, Dokumentationen und Spielfilme dazu gibt es genug, und es werden immer mehr. Wo liegen unsere Wurzeln, auf die wir uns besinnen, die wir auch mit Feierfreude pflegen und großzügig begießen können?

2017 hat bereits begonnen und ein Hauch von Geschichte weht uns um die Nase. Die nächsten zwei Generationen nach uns werden keine evangelische Jahrhundertfeier „als Weltereignis“ auszurichten haben. Wir sind an der Reihe. Vorsicht! Man kann sich leicht einen Rausch anschnüffeln. Die Inszenierung historischer Bedeutsamkeit vernebelt die Sinne. Die Semantik der Begeisterung macht das Denken undeutlich. Sie sind die Drogen, die uns in einer Mediengesellschaft bei jeder Gelegenheit angeboten werden. In Wittenberg – und nebenbei bemerkt: auch in Braunschweig – gibt es diesbezüglich offensichtliche Versuchungen für die Kirche. Die Begriffe Eventisierung und Lokalpartiotisierung der Kirche sind nur schwache Worte für das mächtige Kräftespiel, in dem wir stehen und das das Denken gefangen nimmt. Dabei waren gedankliche Präzision und ein erwachter Erkenntniswille – ein theologischer Aufbruch! –  charakteristische Merkmale jener bekenntnisproduktiven, konfessionsbildenden Bewegung.

Lassen wir uns für 2017 einmal von der Bibel an das erinnern, was Begeisterung in der Gottesbeziehung sein kann. Was Begeisterung in der Gottesbeziehung schon oft war und wieder werden kann. Die Ruach Gottes, der Heilige Geist ist ein Geist der Kraft [δύναμις], aber auch ein Geist der Liebe und der Besonnenheit“[5]. Er ist „der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.“[6] Alttestamentliche Ganzheitlichkeit – also die  körperbewusste, emotionale Erdung des Menschen – genauso wie neutestamentliche Ekstase – das beglückende Überwinden und Herausgerissen Werden, der wenn auch angefochtene und stets wechselnde aber doch mitreißende Vorgeschmack des Neuen – beides (Erdung und Ekstase) beinhaltet übereinstimmend das Moment des Erkennens, das denkende Begreifen, deutendes Suchen und schließlich urteilendes Abwägen. Das halten heute viele irrtümlicherweise für überflüssiges dogmatisches Beiwerk.

Sollen wir nun – angeblich typisch asketisch protestantisch, wie Max Weber uns charakterisierte[7] – gleich unsere eigenen Spielverderber werden und uns die Dankchoräle und die Freude und spielerische Kreativität verkneifen? Uns das Jubiläum selber grüblerisch mies machen? Nein. Da werden andere kommen. Wir werden feiern. Wir werden liebevoll gestalten und zu schönen Ereignissen einladen! Aber bevor die Party richtig losgeht, noch einmal innewerden, was auf uns zukommt, und darüber nachdenken, was wir selber tun wollen, – das sollten wir uns nicht nehmen lassen, und dazu heiße ich Sie heute hier am Hagenmarkt willkommen.

Als Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts werden wir mehr als nur beobachtende Zeugen sein. Wir werden auf irgendeine Weise auch Teilnehmer des bisher größten Reformationsjubiläums. Nicht nur unbeteiligte Zuschauer, sondern als evangelische Christinnen, als Mitarbeitende in den Kirchengemeinden und Mitglieder der Kirchenvorstände, als Pfarrerinnen und Pfarrer werden wir in unserem Wirkungsradius auch Mitgestalter und Mitveranstalter dieses historischen Ereignisses sein. So wie schon die Reformation im 16. Jahrhundert von unzähligen Gelehrten und Fürsten, von Predigern und Stadträten, von Geschäftsleuten und Handwerkern und auch von Frauen getragen und (!) mitgestaltet wurde. Die one-man-show, die man in unseren Tagen mit dem radikal falschen Begriff „Lutherjahr“ daraus zu machen versucht, ist zwar medienkompatibel und sehr populär, aber in der Sache sowohl historisch als auch gegenwärtig ziemlich daneben. „Die Konzentration unserer Sicht der Reformation auf die Person Martin Luthers ist irreführend. Eine ganze Gesellschaft führte [damals, W.B.] einen Grundlagendiskurs über Glauben und Leben“[8], schreibt der Heidelberger Theologe Gerd Theißen in seinem jüngsten Buch über den Römerbrief.

Die Braunschweiger etwa haben ihrer Reformation 1528 ein eigenes, unverwechselbares Gepräge gegeben. Die Prediger Heinrich Lampe, Johannes Oldentrup und der Ratsjurist Autor Sander an St. Magni bis hin zu den Ratsherren des Weichbildes Hagen haben damals Initiative ergriffen. Sie haben im Falle der Prediger mutig etwas gewagt und im Falle der Ratsherren sich beherzt und profiliert eingemischt. Den Gang der Ereignisse haben sie nachhaltig beeinflusst, indem sie aus eigenem Antrieb und ohne Beauftragung Verantwortung übernommen hatten. Das Reformationsjubiläum darf dementsprechend keine von Funktionseliten, von offiziell beauftragten Gremien und großzügig ausgestatteten Vereinen allein gelenkte Veranstaltung werden. 2017 gehört gut evangelisch in die volle Mitverantwortung des Priestertums aller getauften Gläubigen. 2017 gehört nicht nur in die Gemeinden, es gehört den Gemeinden. „Nun danket, alle Gott.“ Nehmt 2017 in eure Herzen, Münder und in eure Hände!

Auch wenn die großen Themen und Ereignisse für das nächste Jahr schon längst gesetzt sind, ist es nicht zu spät dafür, über die eigenen Fragen und Anliegen für dieses Jahr zu reflektieren. Wer spürt diesbezüglich ein individuelles Verantwortungsgefühl? Bedenken wir: Bei solchen großen Jubiläen ist auch der Platz auf der Zuschauertribüne Teil des Spieles. In unserer Mediengesellschaft, deren Filmemacher, Journalisten, Autoren und Werbedesigner sich schon jetzt die Hände reiben, kann man 2017 nicht nicht dabei sein, so wie man nach Paul Watzlawik ja auch „nicht nicht kommunizieren“ kann. Das macht es den Distanzierten und Gleichgültigen ja auch so schwer, sich zu entziehen. Wir dürfen mit manchen Überreaktionen rechnen, die auf das Konto dieser unausweichlichen Omnipräsenz des Themas zu verbuchen sein werden. Also fragen wir uns: Wie begehe ich als einzelne Christin, als Christ für mich dieses Jubiläums-Jahr? Was feiern wir als Gemeinde? Es ist noch Zeit dafür, in Ruhe darüber nachzudenken und zu sprechen.

Meine Damen und Herren, ich habe mir zum Ziel gesetzt, heute Abend bei Ihnen das Nachdenken darüber anzuregen. Haben Sie Dank für Ihr Kommen. Bitte lassen Sie sich auf die 2 weitere Anläufe ein, die ich mit Ihnen in der nächsten guten Stunde zu unternehmen versuche. Landeskirchenmusikdirektor Claus-Eduard Hecker und Orchesterdirektor Martin Weller vom Braunschweiger Staatstheater sorgen mit festlichen Klängen für musikalischen Rückenwind und verbinden mit schöner Musik die eine oder andere Schramme, die man sich beim Start durchaus holen kann. Denn so viel nehme ich jetzt schon vorweg:

In das Jahr 2017 kann man nur hineinstolpern.

 

Einschub: Satirische Jubiläumslesung  (wird später veröffentlicht)

 

Teil 2

Wittenberg hat man in den letzten Jahren zu einem forum protestantum ausgebaut und die Elbwiesen werden am Kirchentag im Mai zum circus maximus spiritualis. Der Öffentlichkeit werden die ludi reformationis angekündigt, deren pompa theatri, deren theatralischer Festzug am heutigen Tage beginnt. Die Spiele sollen dem Zweck dienen, „eine gute Stimmung zu schaffen“, wie es Geschäftsführer Ulrich Schneider formuliert hat.[10] Gute-Laune-Protestantismus at its best.

Die Wahl des Ortes ergab sich aus der Konzentration auf die Person Martin Luthers, mit der man schon am Anfang der Reformationsdekade die Weichen stellte.[11]

Wenn Sie das angemessen und richtig finden, meine Damen und Herren, sollten Sie also damit d’accord gehen und in das empathische Luthergedenken einstimmen, darf ich Ihnen dennoch dazu einige Fragen stellen?

Meinen Sie ernsthaft, man könne jahrelang mit wissenschaftlicher Redlichkeit die Schattenseiten in Luthers Leben und das Problematische an seinem theologischem Werk offen ausleuchten, seine Intoleranz, seinen Aufruf zum Abschlachten der Bauern, seine Hetze gegen die Wiedertäufer, seinen apokalyptischen Antipapismus, seine Türken- und Judenfeindlichkeit, um dann im entscheidenden Jubiläumsjahr einfach wieder so weiter zu luthern wie vorher, als man sich mit all diesen Dingen noch nicht so intensiv beschäftigt hatte? Einfach weitermachen[12] mit „Nun   d a n k e t   alle …“? Nicht nur ein neuer, fremder inhaltlicher Ton, sondern auch eine neue Strophe kommt heute dazwischen.[13]

Meinen Sie ernsthaft, man könne in­ves­ti­ga­tiv aufdecken, dass Luther in der eigenen Rückschau seine Herkunft auf arm stilisiert hat, obwohl er doch der Sohn eines aufstrebenden tüchtigen Mannsfelder Geschäftsmannes mit ehrbaren gesellschaftlichen Ämtern war, – nur weil sich ein Reformator aus einfachen Verhältnissen im Kontrast zum pompösen Papsttum einfach besser macht,[14] – meinen Sie, man kann sich das erklären lassen (wie hier vor 4 Jahren geschehen), um dann unbedarft ein Luther-Jubiläum zu feiern und ihn als ersten Gewährsmann für die Wahrheit des Evangeliums zitieren, als hätte man zu seinem Umgang mit der Wahrheit keine kritischen Erkenntnisse?

Es ist nur folgerichtig, dass man bei dieser Konzentration auf Martin Luther nun entsprechend betont die Gegenakzente zu setzen versucht. Warum hat man dieses Schwergewicht überhaupt so prominent und überdominant auf die Waagschale des 500. Reformationsjubiläums gelegt?

Einiges Gute hat es immerhin. Es wurde zum Anstoß, noch möglichst vor dem Jubiläum nachzuholen, aufzuarbeiten, was schon lange fällig war. Der Versöhnungsakt mit den Mennoniten, den Nachfolgern der damals verfolgten und gequälten Täuferbewegung erfolgte immerhin schon 2010 und war auf der Ebene des Lutherischen Weltbundes gut vorbereitet und in einem Buß-Akt mit der Mennonitischen Weltkonferenz gefeiert worden.[15] Nun danket alle Gott. In der expliziten Distanzierung von Luthers schrecklichen judenfeindlichen Äußerungen auf der zurückliegenden EKD-Synode im November 2015[16] stellten sich die Protestanten in einem eindeutigen Dokument der schwierigen Wahrheit. Dem ging eine – wenn auch späte, aber trotzdem genaue – öffentliche Analyse der einschlägigen Schriften voraus, ebenso auch ein bereits über Jahrzehnte andauernder Dialog mit jüdischen Verbänden, ein Dialog, der in mehreren Denkschriften und in Kirchenverfassungen bereits zu verbindlichen Ergebnissen gelangt war. Zuletzt folgte nun das erst wenige Wochen alte „Gemeinsame Wort zum Jahr 2017“ der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Titel „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen“[17]. Darin bemüht man sich um eine gemeinsame Erinnerungskultur mit der Katholischen Kirche, um „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“[18] zu kommen, wie ein evangelisch-katholisches Dokument aus dem Jahres 2013 es schon vorwegnahm.

Warum aber nach all dem schonungslosen Aufarbeiten nun dennoch diese begeisterte und wie es scheint wieder ungebremste Konzentration auf Martin Luther? Nimmt man diesen durchaus gewichtigen Texten damit nicht einen Teil ihrer Bedeutung wieder weg?

Die Tourismusbranche und die Medienmacher freuen sich natürlich, ein weltbekanntes Gesicht für ihre Marketingkonzepte zu haben. Ein Charakterkopf und der bewegende Lebenslauf eines Beinahe-Märtyrers mit den vielen inzwischen museumspädagogisch gut ausgestatteten biographischen Gedenkorten – das bietet einfach einen unvergleichlich eindrücklichen Erzähl-Stoff für das Jubiläum. Man will Gesichter und nicht Gedanken. Man will Anekdoten, Skandale, nicht Theologie. Und mit dem Theologen Martin Luther kann man – es klingt paradox – genau diese Bedürfnisse hervorragend bedienen. Die Hochzeit mit Katharina von Bora, der Humpen Wittenbergisch Bier und seine Liebe zur Musik – Sex, Drugs and Rock’n Roll – das zieht. Für alles andere reichen Exzerpte, Schlagworte, Headlines.

Aber dient das dem Evangelium? Dient das der Sache, die im 16. Jahrhundert gewiss nicht der einzige Faktor war, aber doch als eines der Kraftzentren in der Mitte der damaligen Umwälzungen stand? Die Sache des Evangeliums. Das staunende Wiederentdecken einer verschütt gegangenen Quelle, aus der man neu zu schöpfen begann. Und natürlich schöpfte man im übertragenen Sinne mit den Gefäßen, die man damals dafür hatte und die heute natürlich zum intellektuellen Museumsbestand gehören. Wir können es in unseren Tagen nicht genauso machen wie Luther & Co. Ein begeistertes Nacherzählen der Geschichte bringt uns der Sache keinen Millimeter näher.

Für die Sache, um die es geht, taugt Martin Luther eben gerade nicht als Gallionsfigur. Man kann viel von seinem Lebensweg und –werk lernen, aber er ist gerade kein nachahmenswertes Vorbild. „Ich bin ein Mensch und nicht Gott“, hat er auf dem Wormser Reichstag gesagt. Situationsbedingt sicher eingeschüchtert, ängstlich und vorsichtig, wie er oft nicht war. Dennoch. „Wie viel mehr muss ich erbärmlicher Mensch, der nur irren kann, bereit sein, jedes Zeugnis wider meine Lehre, das sich vorbringen lässt, zu erbitten und zu erwarten.“ bekennt er  in jener berühmt gewordenen Verhandlung, in der es immerhin auf Leben und Tod ging. Ob gespielte Bescheidenheit oder echte Skrupel – wahrscheinlich war es eine Mischung von beidem – : Es ist Zeit, den Wittenberger in dieser Sache beim Wort zu nehmen.

Es dient dem Evangelium und dem Glauben nicht, ausgerechnet diese Person so in die Mitte des Jubiläums zu rücken.

Wie ein Vorhang hängt das Luther-Portrait aus dem 16. Jahrhundert vor uns. Es ist ein faszinierendes Bild mit vielen Farben und kräftigen Kontrasten. Die Grundierung erfolgte mit Farbtönen des Spätmittelalters, jener Zeit voller Risse und Dramen, voll von Leibes- und Seelennöten. Ein paar bunte Tupfer Renaissance und die betörenden Motive des Humanismus. Es war beginnende Neuzeit. Damals fing an, was wir heute sind, heißt es. Wie ein „ferner Spiegel“[19] hängt dieses Bild vor uns und wir suchen unsere eigenen Konturen, suchen Ähnlichkeiten. Wir angepassten und in großen gesellschaftlichen Trends Mitgefangenen können uns einfach nicht sattsehen an diesem widerständigen, kantigen und schöpferisch wirkenden Typen Martin Luther. „Kaum eine Religion bzw. Konfession hat einen derartigen personalen Narzissmus entwickelt, wie gerade die Lutheraner.“[20] attestiert uns der – reformierte! – Theologe und Kulturanalytiker Andreas Mertin.

Am auffälligsten wird das Problem, das damit für unsere Kirche und für unseren Glauben verbunden ist, an der Art und Weise, wie in der letzten Zeit die neue Revidierte Lutherbibel von prominenten Vertretern aus dem kirchlichen Bereich beworben wurde.

Vor wenigen Wochen erst hat Prof. Dr. Christoph Markschies aus Berlin eine schwungvolle und sehr sympathische Kaufempfehlung für die frisch veränderte Bibelausgebe gegeben.[21] In den 72 kurzen Sekunden erwähnt der Vorsitzende der Kammer für Theologie der EKD 11x den Namen Luther. Das muss man rhetorisch erst mal hinkriegen. Die Gründe, warum Markschies die Bibel empfiehlt, sind überwiegend ästhetischer Natur. Ein schönes Buch mit einer wunderbaren Sprache, gerade recht für den bibliophilen, bildungsbürgerlich interessierten Leser. Ja, in der deutschen Sprachgeschichte ist Luther noch Held geblieben, in jener Bastion, die ihm keiner nehmen kann. Auf diesem kulturellen Sektor ist er nach wie vor unangefochten. Die Bibel-Empfehlung gerät zur Laudatio auf die Sprachkunst des Übersetzers. Dass die große Sprachkraft der Bibel schon im Original begründet liegen könnte, taucht als Gedanke an diesem leuchtenden Horizont nicht auf. Überhaupt ist der humanistisch-reformatorische Grundsatz „ad fontes“ – zurück zu den Quellen! – bei der ganzen Lutherei völlig verschwunden. Oder hält man inzwischen Luther für die Quelle?

Christoph Rösel, Generalsekretär der Deutschen Bibelgesellschaft in Stuttgart, bezeichnet die Lutherbibel in einem Werbeclip als „ein Buch aus dem 16. Jahrhundert“[22]. Wie bitte? Würde er in gleicher Weise Platons Dialoge als Literatur des 19. Jahrhunderts bezeichnen, nur weil Friedrich Schleiermacher sie übersetzt hat? Rösel formuliert die Hoffnung, dass die neue Revision der Lutherbibel „zu einem Türöffner wird, um sich selbst auch an das Ereignis der Reformation anzunähern“[23], obwohl die Bibel davon natürlich nichts weiß und höchstens im Vorwort ein paar knappe Auskünfte darüber stehen. Was ist das anderes als die Empfehlung, auf dem Weg zur Quelle die Reise nach dem ersten Viertel schon zu beenden? Auch Rösel hebt ganz auf den besonderen sprachgeschichtlichen Aspekt ab: „Es gibt kein Buch in der deutschen Sprache, das für die Entwicklung unserer Sprache und Kultur so wichtig gewesen wäre wie die Lutherbibel.“[24] Ende der Durchsage. Mehr Gründe braucht‘s nicht. So ganz frei von Nationalismen sind die Lutherei und die Bibelei auch heute nicht. Deutsche Sprache und deutsche Kultur – ich schätze das und bin selber sehr sprachverliebt, meine Predigthörer wissen das, aber soll uns das ernsthaft als das Thema der Bibel und als die Motivation für ihre Lektüre empfohlen werden?

Ich sehe für mich nur eine Möglichkeit, sinnvoll auf diese Beobachtungen zu reagieren. 2017 werde ich auf dieser Kanzel Lutherfasten. In meinen Predigten werde ich den Wittenberger Reformator 1 Jahr lang nicht erwähnen. Ich werde keine biographischen Details von ihm erzählen, werde keine Anekdoten und auch keine Zitate aus seinen Schriften bringen, auch wenn das in 2017 vielleicht naheliegt. Ich werde versuchen, das übermächtige Lutherportrait und seine Themen aus dem 16. Jahrhundert zur Seite zu schieben und mit Ihnen da hinzukommen, wo die Quellen frisch und unverfälscht sprudeln. Vorhang frei für das Evangelium Jesu Christi! Wohl wissend, dass ich geprägt und nicht ganz frei bin, so wie die Menschen des 16. Jahrhunderts natürlich in ihrer Zeit auch geprägt und nicht frei waren, aber doch einen frischen Zugang fanden und einen neuen Anfang wagen konnten. Mit all den Unvollkommenheiten und dem Problematischen, das sie in diese Erfahrung selber einbrachten, wie auch wir unsere Vorurteile und geistigen Altlasten in unseren Glauben und in unsere Gemeinden hineintragen. Es gibt kein porentief reines Christsein. Wir sind Menschen, und nicht Gott.

Lutherfasten 2017 auf der Kanzel. Nicht zwanghaft im ganzen Gemeindeleben. Selbstverständlich werden wir hier über die Reformation und auch über Luther informieren und Möglichkeiten geben, sich damit auseinanderzusetzen. Und die lutherischen Texte bleiben auch für mich natürlich eine beeindruckende Denkschule, die zu besuchen und in der zu streiten und zu lernen sich weiterhin lohnen wird. Aber die Predigt kommt ohne ihn aus. Das Evangelium braucht diesen Mann nicht mehr. Unser Zusammenkommen im Gottesdienst soll uns gemeinsam zur Quelle zurückführen, und 2017 sollte diesen Weg neu eröffnen anstatt ihn zuzuhängen und zu verbauen.

Eine biblische Warnung steht im Jahr 2017 über unserem evangelischen, und vielleicht besonders über unserem lutherischen Kirchentum. Ein Gotteswort mit werbendem Unterton aus Jeremia 2. „Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich Zisternen, die doch rissig sind und das Wasser nicht halten.“[25]

Wir feiern nicht die Wiederentdeckung des Evangeliums von vor 500 Jahren. Wir feiern das Evangelium! Ich lade Sie ein, nein ich rufe dazu auf, dass wir uns auf den Weg machen, das Evangelium für uns und für heute selber wiederzuentdecken! Etwas schulmeisterlich, aber mit sachlich richtiger Selbstverständlichkeit  heißt es in dem evangelisch-katholischen Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“[26]: „Wenn im Jahr 2017 katholische und evangelische Christen auf die Ereignisse vor 500 Jahren zurückblicken, dann tun sie das am angemessensten, wenn sie dabei das Evangelium von Jesus Christus in den Mittelpunkt stellen.“ Da liegt der Schatz der Kirche. Da liegt der Grund zum Feiern. Ein Hoch auf die Gute Nachricht von Jesus Christus!

Zur Eröffnung dieses festlichen und fröhlichen Fastenjahres 2017 gestatten Sie mir abschließend noch ein Zitat. Ein letzter kleiner Happen von Martin Luther selbst. „Ich bitte, man wolle von meinem Namen schweigen und sich nicht lutherisch, sondern einen Christen nennen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein! Ich bin auch für niemanden gekreuzigt worden. Wie käme denn ich armer, stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder Christi dürfe nach meinem heillosen Namen nennen? Nicht so liebe Freunde!“

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre geduldige Aufmerksamkeit.

Nun danket alle Gott

mit Herzen, Mund und Händen,

der große Dinge tut

an uns und allen Enden,

der uns von Mutterleib

und Kindesbeinen an

unzählig viel zugut

bis hierher hat getan.

Die Welt fällt ins Gericht,
dein Volk irrt durch die Zeiten.
Doch du verwirfst uns nicht,
willst heben, tragen, leiten.
Vergib und hab Geduld
mit unserer Schwachheit Last.
Mach neu durch deine Huld.
Gib auf dem Weg uns Rast.

Der ewig reiche Gott
woll uns in unserm Leben
Ein immer fröhlich Herz
und edlen Frieden geben
Und uns in seiner Gnad
erhalten fort und fort
Und uns aus aller Not
erlösen hier und dort.

Lob, Ehr und Preis sei Gott,
dem Vater und dem Sohne
Und Gott, dem Heilgen Geist
im höchsten Himmelsthrone,
ihm, dem dreieinen Gott,
wie es im Anfang war
Und ist und bleiben wird
so jetzt und immerdar.

T (Str. 1+3+4): Martin Rinckart 1630 / 36     T (Str. 2) Werner Busch 2016

 

Endnoten:

[1]  Ankündigung des Symposiums im Rahmen von „Akademie Regional“ im Gemeindehaus St. Katharinen am 29.10.2016 hier: http://www.thzbs.de/index.php?id=614&uid=56940&backpid=611&no_cache=1

 

[2]   Ralph Bollmann, Luther – Ein Sommermärchen, in:  FAZ.net 29.08.2016 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/reformationsjubilaeum-luther-ein-sommermaerchen-14408453.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

 

[3]  „Man könnte fast meinen, es brause eine große neue Erweckung durch das Land. Im Sinne des alten Kirchenliedes <<Wach auf, wach auf, du deutsches Land! / Du hast genug geschlafen …>> Denn nicht bloß der Staat feiert Luther, die Obrigkeit also, zu welcher der Protestantismus ein oft inniges und nicht selten problematisches Verhältnis pflegte. Nicht nur die evangelische Kirche, die im engeren Sinne zuständig ist und alle Kommunikationskanäle so eifrig nutzt, als müsste sie etwas loswerden, was sie eigentlich schon immer beschäftigen sollte – Marketing-Stichwort: Kernbotschaft. Und nicht nur der Tourismus hofft auf so etwas wie das größte deutsche Weltereignis seit der Fußball-WM 2006. Nein, die gesamte Kultur des Landes scheint im Reformationsfieber zu sein: Fernsehprogramme, Ausstellungen, Beilagen, Bücher, Konzerte, Events.“ Johann Schloemann, Super-Martins Erbe in: Süddeutsche Zeitung am 28.10.2016.

 

[4]   Vgl. Franz Becker, Protestantische Euphorien 1870/71, 1914 und 1933, in: Manfred Gailus und Hartmut Lehmann (Hgg.), Nationalprotestantische Mentalitäten. Konturen, Entwicklungslinien und Umbrüche eines Weltbildes, Göttingen 2005, S.19-44.

 

[5]  2. Tim 1,17.

 

[6]  Jes 11,2.

 

[7]  Vgl. Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus.

[8]  Gerd Theißen, Petra von Gemünden,  Der Römerbrief: Rechenschaft eines Reformators, Göttingen 2016, S. ???

 

[9]  Siehe http://www.ekd.de/download/kirche-der-freiheit.pdf

 

[10]  https://www.luther2017.de/de/2017/reformationsjubilaeum/unterwegs-zum-jubilaeum/hinter-den-kulissen/fuenf-grossprojekte-zum-reformationsjubilaeum-geplant

 

[11]  „Schon vor dem offiziellen Start standen der Lenkungsausschuss und abschließend das Kuratorium unter Vorsitz des Ratsvorsitzenden der EKD, Bischof Wolfgang Huber, vor der Herausforderung, ein modernes, zeitgemäßes Erkennungszeichen für die Dekade bis zum Reformationsjubiläum zu finden. Diese Marke müsse verschiedenen Ansprüchen genügen: Sie dürfe auch noch in zehn Jahren nicht veraltet wirken, sie müsse international verstanden werden und auf einen Blick zu erfassen sein. Aus einem öffentlichen Wettbewerb sei in einem spannenden Prozess der Beitrag der Offenbacher Agentur ausgesucht worden, der an das bekannteste Luthergemälde angelehnt ist. Mit der vom Kuratorium festgelegten Wortmarke „Luther 2017 – 500 Jahre Reformation“ und der gepixelten Grafik als Bildmarke seien unterschiedliche Aspekte des Jubiläums zu erkennen: Luther werde als zentrale Figur der Reformation genannt […].“ https://www.ekd.de/aktuell/59271.html  (30. Juli 2008).

 

[12]  „Es sei eine große Herausforderung für das Kuratorium „Luther 2017“ und für die Geschäftsstelle des Reformationsjubiläums in Wittenberg, über zehn Jahre hinweg das Reformationsjubiläum so zu gestalten, <<dass man auch nach Jahren noch ungestraft das Wort Luther in den Mund nehmen kann >>, betonte Dorgerloh. Daher sollten die Themen immer wieder wechseln. <<Es geht um die theologische Wiederentdeckung der Impulse der Reformation>>, erläuterte der Beauftragte.“ https://www.ekd.de/aktuell/59271.html  (30. Juli 2008).

 

[13]  Siehe Lied im Anhang „Nun danket alle Gott“.

 

[14]  Siehe: „Fundsache Luther“: http://www.fundsache-luther.de/index_dt.htm

 

[15]  https://www.ekd.de/presse/pm170_2010_dnk_lutheraner_mennoniten.html

 

[16]  https://www.ekd.de/synode2015_bremen/beschluesse/s15_04_iv_7_kundgebung_martin_luther_und_die_juden.html

 

[17]  http://static.evangelisch.de/get/?daid=BmbM1wtpJwma1D77rcP8PubO00154744&dfid=download

 

[18]  http://www.2017gemeinsam.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/LWB_Vom_Konflikt_zur_Gemeinschaft.pdf

 

[19]   vgl. Barbara Tuchmann, der ferne Spiegel. Das dramatische 14. Jahrhundert.

 

 

[20]  Andreas Mertin, Mann Ø Mann, in: Ta katoptrinzomena. Das Magazin für Kunst / Kultur / Theologie / Ästhetik Nr.  103, (Themenheft „Kirchenmusik“). http://www.theomag.de/103/am556.htm

 

[21]  http://www.evangelisch.de/videos/136606/10-10-2016/christoph-markschies-braucht-jeder-eine-neue-lutherbibel

 

[22]  https://www.youtube.com/watch?v=3nfYm2yXBPY (siehe bei 0:55 sec). In demselben Video-Clip beschreibt der Vorsitzende des Lenkungsausschusses Prof. Dr. Christoph Kähler die Überraschung, dass man bei der Revision wieder mehr zu „weil wir an vielen Stellen gemerkt haben, Luthers ist selber schon genauer gewesen als die, die ihn hinterher meinten korrigieren zu müssen.“

 

[23]  Ebd. Minute 4:24

 

[24]  Ebd. Minute 4:45

 

[25]  Jeremia 2,13.

 

[26]  Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames, lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017. Bericht der Lutherisch/Römisch-Katholischen Kommission für die Einheit, 2. Auflage, Leipzig 2013, S.  9.

 

Quo vadis, ecclesia?

Braunschweiger Refomationsjubiläum in der Diskussion
Braunschweiger Refomationsjubiläum in der Diskussion

 

Zweiter Teil der Thesenreihe vom 24.10.:

  1. Kirche ist Teil der Stadt. Ist sie auch städtisch?
  2. Zur Kirchlichkeit dieser Stadt gehört historisch der gesellschaftliche Streit.
  3. Braunschweig ist nicht durch einen Fürsten oder Herzog „von oben herab“, sondern durch seine Bürger „von unten“ evangelisch geworden.
  4. Das Reformationsjubiläum 2017 hat auf diesem Hintergrund nur indirekt mit der Stadt Braunschweig zu tun. 2028 haben wir mehr zu feiern.
  5. Die Kirche in ihrer gegenwärtigen Verfassung dämpft das urbane Potential des Evangeliums.
  6. Die Christusbotschatf ist trotzdem unerhört städtisch.
  7. Zur DNA des (Ur-)Christentums gehört(e) es, große kulturelle und soziale Kontroversen in sich zu beherbergen und auszutragen. Daraus ist für die Gegenwart zu schlussfolgern: politische oder multikulturelle „Correctness“ sind nicht produktiv, sondern blockieren. Ebenso Ignoranz und Gewalt.
  8. Die gute Nachricht von Vergebung und geschenkter Rechtfertigung muss notwendig Streit und Kontroversen provozieren, oder sie ist nicht verstanden worden.
  9. Das Evangelium bewirkt im Zwischenmenschlichen eine geradezu gotische Geräumigkeit und Beweglichkeit, die einfach nicht konfliktfrei bleiben kann.
  10. In einem Einwanderungsland muss Kirche sich auch zur „Einwanderungskirche“ transformieren oder sie rutscht langfristig ins religiöse Ghetto und bleibt auf eine Ethnie begrenzt.
  11. Es hat derzeit den irreführenden Anschein, dass der Christus-Glaube für bestimmte Lebensstile oder gesellschaftliche Segmente „reserviert“ ist.
  12. Die kulturelle Öffnung der Kirche muss sich auf allen Ebenen vollziehen, zuerst und zuletzt aber in persönlichen Begegnungen.
  13. Der Impuls und die Befähigung dazu gehen von Gott aus, der unaufhörlich damit beginnt, den ihm Fremden („Gottlosen“) zu suchen und durch Versöhnung zu rechtigertigen.