Archiv der Kategorie: Materialsammlung

Materialsammlung für die Darstellung des Verhältnisses von Reformation und Reform auf dem Weg zur Reformationsdekade

„Wie’s uns so geht“ Fünfte KMU der EKD

Zum fünften Mal hat die Evangelische Kirche in Deutschland durch ihr Sozialwissenschaftliches Institut eine Mitgliedschaftsuntersuchung durchführen lassen.

Eine erste Übersicht über die Ergebnisse und den Beginn der Debatte zeigt das Video „Synodentalk“. Die Präsidentin der EKD-Synode Dr. Irmgard Schwätzer spricht mit dem Vizepräsidenten Dr. Thies Gundlch und dem Leiter des Sozialwissenschaftlichen Institutes Professor Dr. Helmut Wegner. http://www.ekd.de/EKD-Texte/synodentalk.html

Interessant: Professor Wegner hebt die Bedeutung der Ortsgemeinde ausdrücklich hervor und will ihre Chancen stärker gewürdigt sehen. An der Erwiderung durch Dr. Gundlach wurde zweierlei deutlich. Einerseits darf nicht übersehen werden, dass neben die Parochie andere gleichwertige Gemeindeformen entstanden sind und die Parochie – wenn nauch immer noch ein Mehrheitsmodell – nicht mehr das Monopol innehat. Andererseits scheint in der kirchlichen Wahrnehmung eine subtile Vernachlässigung der parochial verfassten Ortsgemeinde eingetreten zu sein. Wegners Votum hierzu ist ein Signal, dass man in der kirchenleitenden Wahrnehmung und Einschätzung des kirchlichen Lebens „vor Ort“ eine Bewertungskorrektur vornehmen sollte.

Immer noch wird das Impulspapier „Kirche der Freiheit“ zitiert, das den Reformprozess in der EKD angestoßen hat. Inzwischen ist dieser Prozess bei den Mühen der Ebene angekommen und zieht sich. Maßnahmen sind getroffen worden und man wird über die Jahre erst sehen, welche Wirkung sie haben werden.

Es ist auch bemerkenswert, dass beim Gespräch über die offenbar schwächer werdende Bereitschaft zur Weitergabe des Glaubens in den Familien und angesichts des allmählichen Anwachsens der Zahl von Konfessions- und sogar Religionslosen die Glaubenskurse mit keinem Wort Erwähnung gefunden haben. Eine unbeabsichtigte (freudsche?) Leerstelle in der Diskussion? Obschon der Begriff der Mission nicht gefallen ist, war er sachlich in den gegenseitigen Ausführungen doch sehr präsent. Nur wie?

Eine zeitgemäße (postmoderne?) Apologetik, also der Dialog und Diskurs mit kirchlich völlig unverbundenen und nicht vorgeprägten Menschen, wird in der kirchlichen Arbeit wieder mehr an Bedeutung gewinnen.

Popularisierung der Reformation

Nach einer Sitzung des Kuratoriums Luther 2017, die in Halle stattgefunden hat, fasst der Ratsvorsitzende der EKD Nikolaus Schneider, der zugleich den Vorsitz des Kuratoriums innehat, ein Anliegen des Gremiums folgendermaßen zusammen:

Wir wünschen uns eine Popularisierung des Themas Reformation.

Die Knappheit der epd-Pressemitteilung lässt Raum für Interpretation und (An-)Fragen. Die Menschen sollten stärker beteiligt werden, heißt es. Damit, meine ich, könnte jeder Protestant einverstanden sein. Dass die Themen und Impulse, die mit dem Stichwort „Reformation“ verbunden sind, zu den Menschen kommen und von ihnen dialogisch und kreativ aufgegriffen werden, entspricht der Sache selbst, keine Frage. Die Zielrichtung ist begrüßenswert.

Trotzdem bleibt das Anliegen unkklar, wenig konkret. Es soll Gelegenheit für „eigene Ideen“ luther_2017_rgbgegeben werden, „eine Art moderne Thesen“, so der Ratsvorsitzende. Eine erkennbare Adressierug und Beschreibung, welche Bevölkerungs- oder Berufs- oder Altersgruppen mit „die Menschen“ gemeint sind, denen dies angeboten werden soll, bleibt aus. Ich äußere einen Verdacht und hoffe auf seine Widerlegung: Geht es am Ende nur darum, mit einer wirksamen Werbeoffensive in einer anonymen, unförmigen Öffentlichkeit als wiederkehrende Meldung unter den wichtigen Tagesereignissen vorzukommen? Ist die Titelseite das Ziel? Das wäre „much ado about (almost) nothing“.

Die Abgrenzung – „Wir wollen keine Museumsveranstaltung“ – hilft zum besseren Verständnis des Vorhabens leider auch nicht viel weiter. Historische Aufarbeitung soll ja sicherlich nicht zu den Akten gelegt werden, wogegen also richtet sich diese Formulierung?

Trotz der Unklarheiten hier ein – kritischer – Versuch zu verstehen.

Der Begriff der angestrebten „Beteiligung“ der Menschen scheint zentral zu sein. Ist damit echte Beteiligung gemeint, mit all den Risiken und Ambivalenzen, die dazu gehören? Das Kuratorium mag das als unterhaltsame und zündende Idee befürworten; sollte die EKD dieses Anliegen einfach so übernehmen? Reformation bzw. Reformationsjubiläum als speakers‘ corner? Die angedeutete Richtung sieht mir ehrlich gesagt noch zu sehr nach einem unausgereiften religionspädagogischen Einfall für den Konfirmandenunterricht oder den Gemeindegsprächskreis aus. Eine romantische Idee, aus dem Mythos des Thesenanschlags geboren. Für gesellschaftliche Wirkkraft reicht das nicht.

Popularisierung könnte auch in einer anderen Richtung gedacht werden: nicht als Spielwiese für jedermann; sondern als eine  neu gewagte, substantielle öffentliche Elementarisierung der reformatorischen Inhalte und der gesellschaftlichen Impulse, die davon ausgehen (können). Die Dialog-Plattform TED könnte eine inspirierende Anregung sein.

Das Ziel ist jedenfalls hoch bzw. weit gesteckt: es geht um „breite Verankerung“ der Initiative Reformationsjubiläum in der Gesellschaft. Auf welche Personen- und Interessengruppen, „Milieus“ können und wollen wir dabei zählen? Die Allgemeinheit ist unförmig und für diese Zielsetzung unerreichbar. Verankerung setzt konkreter an.

Die Rolle der EKD in diesem gesamten Prozess der Lutherdekade erscheint mir momentan etwas verschwommen und diffus zu werden. Eine offenbar völlig schmerzfreie und distanzlose Identifizierung mit dem Kuratorium („Wir“) sollte noch einmal überdacht werden. In dieses gesellschaftliche Gesamtkonzert „Reformationsjubiläum“ sollte die EKD stärker eine eigene, profiliertere Stimme und Position einbringen und sich weniger als Moderatorin verstehen.